12 Januar 2007

HIV und AIDS

HIV und AIDS, hier ein so alltägliches Problem, dass ich gar noch nicht viel darüber geschrieben habe... das ist nachzuholen.
Bereits am Tag meiner Ankunft in Libreville fielen mir die vielen Plakate, die auf die Krankheit aufmerksam machen und aufklären sollen. Das PNL (programme national lutte contre le sida) arbeitet hier mit einem 3-Punkte-Slogan: 1. abstinence, 2. fidélité mutuelle, 3. préservatif. Da die ersten beiden Punkte bei der Mehrheit der Gabonesen eh nicht greifen, muss man in der Praxis wohl eh gleich bei Punkt drei ansetzen.
Bei unseren HIV-positiven Patienten wird für die prise en charge jeweils ein spezielles Dossier geöffnet, was normalerweise meine Aufgabe ist. Nebst den den harten Daten wie Laborwerten, persönlichen Daten sowie krankheitsindizierenden Krankheiten werden jeweils auch die Risikofaktoren erörtert - die wenigsten dieser Patienten haben je in ihrem Leben ein Präservatif benützt.
Als eine HIV-positive Patientin bei Justin in der Konsultation nicht wusste was ein Präservatif ist, noch nie eins gesehen hatte und wir es ihr demonstrierten, war bei mir die Limite überschritten.
Im Internet fand ich eine ziemlich explizite Bildserie, die den Gebrauch der Präservative für Männer erklärt. In Grossformat ausgedruckt hängte ich sie in der Poliklinik auf, was zwar zunächst ein kleines Skandälchen bei den Poliklinik-Angestellten provozierte - ich denke, das war aber eher aus Pflichtgefühl; jedenfalls wurde ich danach von einigen um Flyers gebeten, um sie ihren "Kindern" zu zeigen (resp. selber zu lesen). Wie schon angetönt, die Bildserie vervielfältigte ich auch als Flyer, die seither in meinem Büro aufliegen. Bei den anderen zwei Inneren Medizinern liegen sie zwar nicht auf, sind aber immerhin in Griffnähe, um sie RisikopatientInnen abzugeben. Mir ist es egal: ich habe inzwischen um die 80 Zettel verteilt - und verhindere damit vielleicht einige Ansteckungen. Auch am latenten Mangel an Präservativen zum Verkaufen und Abgeben hat sich noch nicht viel geändert. Die paar hundert Stück, die ich aus der Schweiz mitgenommen habe, waren bereits kurz nach meiner Ankunft wieder weg. Als Aufklärungszentrum für Sexuell übertragbare Krankheiten ist es eigentlich ziemlich peinlich und fahrlässig, wenn man nicht mal mehr Präservative vorrätig hat für die wenigen Verantwortungsvollen hier, die sie kaufen kommen. Nun, es ist leider nicht das einzige, an was es hier fehlt. Wir haben z.B. gerade zwei Toxoplasmose-Patienten, für die es einfach keine Medikamente mehr hat. Auch das schlechtere Ersatz-Medikament ist ausgegangen.
Trotz der Aufklärungs-Plakate existieren hier im Gabun wie überall in Afrika eine ganze Menge an Geschichten und Haltungen zu AIDS. Viele tradi-practiciens (traditionelle Heilpraktiker) behaupten, AIDS heilen zu können und dementsprechend kommen viele HIV-positive Patienten einfach nicht mehr in die Kontrollen, weil sie sich anstatt irgendwo in der Pampa von einem Heiler behandeln lassen. Meistens tauchen sie dann kurz vor dem Sterben doch wieder im Spital auf - teils mit CD4-Werten von 4... (normal über 500). Justin regt sich natürlich auf - einerseits weil es hilflos macht und andererseits weil es den Ruf des Spitals natürlich nicht gerade verbessert, wenn die Leute nur noch zum Sterben herkommen, bzw. das Spital dann an deren Tod schuld ist.
Viel häufiger ist jedoch, dass die Patienten ein positives Resultat einfach nicht glauben, es nicht akzeptieren, es negligieren, und damit natürlich auch jegliche weitere Therapie verweigern und wieder en brousse verschwinden - um wahrscheinlich eine ganze Reihe Weiterer anzustecken. "Eine ganze Reihe Weiterer" weniger wegen der v.a. bei älteren Paaren vorkommenden Polygamie, mehr weil Treue bei vielen Gabonesen eher ein Fremdwort ist. Wie Guillaume gesagt hatte "comme chaqu'un a plusieures chaqu'unes et chaqu'une a plusieurs chaqu'uns...". Es gibt aber durchaus auch verantwortungsvolle Patienten, wenn leider auch eher in der Minderheit. Gerade heute führte ich ein ziemlich happiges Gespräch; morgens in der Sprechstunde hatte ich einen Patienten mit einem Herpes zoster (Gürtelrose) der linken oberen Gesichtshälfte. Weil ein solcher häufig bei Immunkomprimitierten Patienten auftritt, legte ich ihm nahe, einen HIV-Test zu machen (hier leider ein eher teurer Test: 8'500 CFA, knapp 15 Fr.): das Resultat war positiv. Ich erklärte ihm das Resultat sowie die Krankheit und er schien gut zu verstehen, stellte sogar Fragen - ein gutes Zeichen. Und er fragte mich auch nach seiner Frau, möglicherweise ja auch positiv. Ich versuchte ihm Mut zu machen, es ihr zu sagen, bot ihm an, sie hereinzubitten und die ganze Sache beiden nochmals zu erklären. Er hatte Angst, sie sei zu fragil um das Resultat zu prästieren. Und auch meiner Erfahrung nach akzeptierten solche Leute dann meistens das Resultat sowieso nicht, beeinflussten sogar noch den Partner, sodass dieser die Therapie abbricht - bei zunächst sehr einsichtigen Patienten habe ich dies leider auch schon erlebt. Nach langem Zögern des Patienten kam seine Frau herein und ich erklärte das Ganze nochmals. Sie reagierte kaum, war aber bereit, sich testen zu lassen. War verletzt, enttäuscht. Obwohl ich die Leute aufrufe, nicht nach dem wann, warum, durch wen der Ansteckung zu suchen, da dies im Moment nicht viel bringt, kann ich mir vorstellen, was das Resultat für die persönliche Beziehung der beiden heisst. Das Resultat wird Montags dasein, leider weiss ich ja schon fast sicher, wie es lauten wird.
Vor einigen Tagen habe ich die Statistik der hospitalisierten Seropositiven von 2006 zusammengestellt. Es waren genau 100 in der Kopp hospitalisierte seropositive Patienten - mit den vielen die man vergessen hat einzutragen sicher einige mehr. Bereits vor einigen Wochen stellte ich eine Statistik von 2004 - 2006 aller positiven und negativen Tests des ganzen Spitals zusammen - Justin brauchte sie, um die antiretroviralen Medikamente zu erhalten, für die er regelmässig persönlich nach Libreville fahren muss.
Inzwischen sind die ganzen Medikamente gratis, schon ein wichtiger Fortschritt. Allerdings sind die ganzen Untersuchungen im Vorfeld, die für eine Therapie nötig sind, vom Patienten/der Patientin zu bezahlen (ca. 20'000 - 60'000 CFA)- für viele ein Ding der Unmöglichkeit. Die Therapie wäre zwar gratis, aber der Beginn einer solchen scheitert an der Hürde der dazu nötigen Untersuchungen.
Nächsten Mittwoch ist es an mir, einen Vortrag zu halten: ich möchte die erstellte Statistik der Kopp vorstellen, verbunden mit einem Rappel zu HIV/AIDS - nicht wenige der Spitalangestellten sind seropositiv. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch gleich einen neuen HIV-Informationsflyer in die Runde werfen, der alte ist von den vielen "Kopien einer Kopie" kaum mehr lesbar. Guillaume, der junge Gabonese der das Atelier des Arts et d'Expression leitet soll mir die Illustrationen liefern, mal schauen obs klappt. Da leider der Stage bald zu Ende gehen wird, ist die Zeit eh schon viel zu knapp und mit dem vorzubereitenden Vortrag noch knapper, so dass ich mich hier auch gleich für meine eher raren Einträge im Blog entschuldige. Und übrigens: die Ehefrau meines Zoster-Patienten war seronegativ. Obwohl erst in 3 Monaten nach einem zweiten Test ein sicheres Resultat, hat mich das ausserordentlich gefreut.

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