19 Januar 2007

Medikamente des deutschen Militärs in der Pharmacie

Wie in einem früheren Blog bereits berichtet, erhielt das Schweitzer-Spital Mitte Dezember drei Ladungen Medikamente vom Deutschen Militär, als dieses sich nach den Wahlen aus dem Kongo zurückzog. Die ganze Ladung wieder nach Deutschland zurückzuführen war offenbar mühsamer als sie einem Spital zukommen zu lassen. Und da halt alle Beipackzettel in Deutsch verfasst sind, bot sich das Schweitzer-Spital an.
Insgesamt einige Tonnen schwer, wurde die ganze Fracht zunächst einmal in den Nebenräumen der Pharmazie verstaut und seither häufchenweise am Boden vor den Medikamentengestellen verteilt (natürlich jeweils am falschen Ort). Gelegentlich traf man so recht interessante und wichtige Medikamente an. Weil es der Apothekerin (die eigentlich Krankenschwester ist) mindestens so an Deutschkenntnissen wie auch an Elan zum Medikamente-Organisieren fehlt (mittels Wirkstoffnamen könnte ja auch sie nachschlagen was wohin gehört), lagen die Medikamente halt auch nach einem Monat noch völlig chaotisch am Boden rum. Mittlerweile kamen neue Patienten mit Candidosen, Toxoplasmose, etc. in die Kopp, für die nicht selten die entsprechenden Medikamente fehlten. So machte ich mich halt an die Arbeit und begann selbst die ganzen Schachteln umzubeigen, zu ordnen, zu beschriften. Dem/der einen oder anderen Kranken könnte ja durch ein ausgegrabenes Medikament vielleicht geholfen werden.
Nach vielen vielen in der Pharmazie zurückgelegten Kilometern und wahrscheinlich hunderten herumgeschleppten Medikamenten-Kilos ist das gröbste nun mal nach Fachgebieten sortiert. In den nächsten Tagen werde ich die Medikamente noch nach Wirkungsbereichen klassieren und beschriften. Für die Übersetzung danach hat sich Eric, der andere Schweizer angeboten. Am Anfang machte die Organisiererei auch recht Spass, doch mittlerweile stehts auch mir bis zum Hals. Aber wenigstens gibt es nun etwas Ordnung.
Die Pharmacie mit den den neuen Medikamenten

12 Januar 2007

C'est le Gabon...

...wenn jeweils der Kofferraum-Deckel des Taxis auf- und zuknallt wenn man über die Schwelle auf eine Brücke fährt (da Kofferraum-Deckel defekt)
... ein Taxi ohne Spinnweben-Frontscheibe (zerschlagen) ist mindestens so selten wie die Putzfrau unserer Bouka am Montag zum Putzen des Bads erscheint
... wenn ein Auto aus mindestens 5 verschiedenen anderen Autos besteht: hier wird alles auseinandergenommen und wieder zusammengebaut (Läden: "vente des pieces détachées"
... wenn man nach Wochen mal merkt, dass aus dem Dispenser für die chirurgische Händedesinfektion gewöhnliches Geschirr-Abwaschmittel rauskommt
...wenn es nach Kotze stinkt, es durchaus auch sein kann, dass jemand Maniok zubereitet
... wenn es an einem Abend in der Bouka nach totem Tier stinkt (weil die Katze eine mit Rattengift vergiftete Ratte aus dem Réfectoire gefressen hat) und an nächstem Abend noch penetranter nach Benzin (weil sie dies über den Ort geschüttet haben, wo die tote Katze lag, um weitere durch den Gestank angelockte Tiere fernzuhalten)
... wenn Patientinnen, die mit schwindelerregenden Blutdruckwerten in der Konsultation erklären, sie hätten ihre Blutdruckmedis deshalb abgesetzt, weil sie jeden Morgen in die Kirche gingen, um für die Senkung des Blutdrucks zu bitten
... wenn man anstatt Wechselgeld durchaus auch Maggi-Würfel erhalten kann
... wenn du entweder ständig deine Patienten in der Stadt antriffst oder dich dort langsam alle kennen, wissen wann du wieder in die Schweiz zurückkehrst oder welche Schuhgrösse du das letzte mal getragen hast, als Du den Laden betreten hast, oder dich eine Frau (ehemalige Patientin?) beim Einkaufen vor der Kühlbox anhaut, ob sie ihrem Baby schon Joghourt füttern darf
... wenn oft im Spital gar nichts läuft, wenn man's nicht entweder selber macht oder alle wie Kinder jeden Tag an ihre immer gleichen Pflichten erinnert
... wenn ständig noch irgendwelche soeurs und frères in deine Konsultationen eingeschleust werden, gelegentlich möglichst noch so, dass sie die Konsultation nicht bezahlen müssen
... wenn du ständig von Patienten um deine Telefonnummer gebeten wirst (vorzugsweise von denen, die demonstrativ in Uniform erscheinen)
... wenn die Patienten öfters mal einfach aus dem Spital abhauen, um den Aufenthalt nicht bezahlen zu müssen - und wenn sie das nächste mal wegen Krankheit erscheinen ihre Patientenkarte "verloren" haben bzw. noch "nie da waren" - weil man sonst ja merken würde, dass sie noch Geld schulden. Damit aber auch die ganze Krankengeschichte irgendwo im Archiv bleibt und man sämtliche schon mal gemachten Tests wiederholen muss - die höchstwahrscheinlich dann ja auch wieder nicht bezahlt werden (leider nicht ganz selten von Patienten, die eigentlich bezahlen könnten)
... wenn alle immer Kleingeld wollen (bes. die Taxifahrer), es einem aber ständig an Kleingeld mangelt
... wenn in das Passagierschiff Lambarene-Port Gentil mindestens doppelt so viele Passagiere verfrachtet werden, wie eigentlich für das Schiff vorgesehen - die Leute fast aufeinandergestapelt werden, weil man einfach von oben in den Bauch des Schiffs hineinlädt
... wenn es von Kindern überall nur so wimmelt
... da Verhütung ziemlich ein Fremdwort ist
... wenn viele junge Frauen mit allem möglichem abzutreiben versuchen: irgendwelche Kräuter, Javelwasser, ... - und Lea in der Chirurgie dann die Reste zu beseitigen muss
... und vor einigen Jahren Verhütung gar nicht zugelassen war, die Regierung Kinderreichtum propagierte, obwohl es an jeder Ecke an Infrastruktur für solchen Kinderreichtum mangelt
... wenn sich alles mögliche frère und soeur nennt. Wenn es tatsächlich mal "wirkliche" Geschwister sind, wird das auch explizit gesagt: "nous sommes frères - même mère, même père" - was aber ja eher eine Seltenheit ist
... wenn man mit 38 Jahren durchaus Grossmutter sein kann
... und als Mann auch 26 Kinder haben kann
... wenn immer alle zu einem Schwatz bereit sind und ein offenes Haus haben
... wenn Schulkinder Uniformen tragen: Farben je nach Schule
... wenn alle paar Tage die Frisur gewechselt wird
... wenn die Butter entweder steinhart oder fast zerflossen ist, sicher jedoch nichts dazwischen
... wenn dir die Klimaanlage des Konsultationszimmers immer alle Auskultationsbefunde übertönt
.. wenn Dir auf "bonjour" jemand "oui" zur Antwort gibt
... wenn man im Fluss nicht baden gehen soll, weil einem sonst die Krokis in den A... beissen
... wenn man nebst Studentin bald auch zur Sekretärin, Apothekerin,... wird
... das Trinkwasser öfters mal die Farbe und den Geschmack ändert
... wenn man im Restaurant Djino bestellen kann
... wenn à tout à l'heure bis in 2 minuten 2 Stunden, allenfalls sogar bis in 2 Tagen heissen kann
... wenn es statt gebrannten Mandeln gebrannte Erdnüsse zu kaufen gibt
... der Schneider einem von selbst anbietet, auf Stoffkauftour mitzukommen, damit ich nicht übers Ohr gehauen werde
... senn man in einem Schnellboot beim Passieren einer Pirogue gefälligst auf die Bremse treten muss
... wenn es fast normal ist, dass eine Schülerin über die fiesen Lehrer wettert, währenddem sie ihr 1-2jähriges Kind im Arm hält
... wenn sich Moskitos kein bisschen um europäische Antiinsektenmittel oder lange Kleidung scheren, sondern munter weiterstechen - besonders mich

... ich mir ziemlich Mühe geben muss, um das hier alles aufzuschreiben, weil es inzwischen so normal geworden ist, dass es mir gar nicht mehr auffällt.

HIV und AIDS

HIV und AIDS, hier ein so alltägliches Problem, dass ich gar noch nicht viel darüber geschrieben habe... das ist nachzuholen.
Bereits am Tag meiner Ankunft in Libreville fielen mir die vielen Plakate, die auf die Krankheit aufmerksam machen und aufklären sollen. Das PNL (programme national lutte contre le sida) arbeitet hier mit einem 3-Punkte-Slogan: 1. abstinence, 2. fidélité mutuelle, 3. préservatif. Da die ersten beiden Punkte bei der Mehrheit der Gabonesen eh nicht greifen, muss man in der Praxis wohl eh gleich bei Punkt drei ansetzen.
Bei unseren HIV-positiven Patienten wird für die prise en charge jeweils ein spezielles Dossier geöffnet, was normalerweise meine Aufgabe ist. Nebst den den harten Daten wie Laborwerten, persönlichen Daten sowie krankheitsindizierenden Krankheiten werden jeweils auch die Risikofaktoren erörtert - die wenigsten dieser Patienten haben je in ihrem Leben ein Präservatif benützt.
Als eine HIV-positive Patientin bei Justin in der Konsultation nicht wusste was ein Präservatif ist, noch nie eins gesehen hatte und wir es ihr demonstrierten, war bei mir die Limite überschritten.
Im Internet fand ich eine ziemlich explizite Bildserie, die den Gebrauch der Präservative für Männer erklärt. In Grossformat ausgedruckt hängte ich sie in der Poliklinik auf, was zwar zunächst ein kleines Skandälchen bei den Poliklinik-Angestellten provozierte - ich denke, das war aber eher aus Pflichtgefühl; jedenfalls wurde ich danach von einigen um Flyers gebeten, um sie ihren "Kindern" zu zeigen (resp. selber zu lesen). Wie schon angetönt, die Bildserie vervielfältigte ich auch als Flyer, die seither in meinem Büro aufliegen. Bei den anderen zwei Inneren Medizinern liegen sie zwar nicht auf, sind aber immerhin in Griffnähe, um sie RisikopatientInnen abzugeben. Mir ist es egal: ich habe inzwischen um die 80 Zettel verteilt - und verhindere damit vielleicht einige Ansteckungen. Auch am latenten Mangel an Präservativen zum Verkaufen und Abgeben hat sich noch nicht viel geändert. Die paar hundert Stück, die ich aus der Schweiz mitgenommen habe, waren bereits kurz nach meiner Ankunft wieder weg. Als Aufklärungszentrum für Sexuell übertragbare Krankheiten ist es eigentlich ziemlich peinlich und fahrlässig, wenn man nicht mal mehr Präservative vorrätig hat für die wenigen Verantwortungsvollen hier, die sie kaufen kommen. Nun, es ist leider nicht das einzige, an was es hier fehlt. Wir haben z.B. gerade zwei Toxoplasmose-Patienten, für die es einfach keine Medikamente mehr hat. Auch das schlechtere Ersatz-Medikament ist ausgegangen.
Trotz der Aufklärungs-Plakate existieren hier im Gabun wie überall in Afrika eine ganze Menge an Geschichten und Haltungen zu AIDS. Viele tradi-practiciens (traditionelle Heilpraktiker) behaupten, AIDS heilen zu können und dementsprechend kommen viele HIV-positive Patienten einfach nicht mehr in die Kontrollen, weil sie sich anstatt irgendwo in der Pampa von einem Heiler behandeln lassen. Meistens tauchen sie dann kurz vor dem Sterben doch wieder im Spital auf - teils mit CD4-Werten von 4... (normal über 500). Justin regt sich natürlich auf - einerseits weil es hilflos macht und andererseits weil es den Ruf des Spitals natürlich nicht gerade verbessert, wenn die Leute nur noch zum Sterben herkommen, bzw. das Spital dann an deren Tod schuld ist.
Viel häufiger ist jedoch, dass die Patienten ein positives Resultat einfach nicht glauben, es nicht akzeptieren, es negligieren, und damit natürlich auch jegliche weitere Therapie verweigern und wieder en brousse verschwinden - um wahrscheinlich eine ganze Reihe Weiterer anzustecken. "Eine ganze Reihe Weiterer" weniger wegen der v.a. bei älteren Paaren vorkommenden Polygamie, mehr weil Treue bei vielen Gabonesen eher ein Fremdwort ist. Wie Guillaume gesagt hatte "comme chaqu'un a plusieures chaqu'unes et chaqu'une a plusieurs chaqu'uns...". Es gibt aber durchaus auch verantwortungsvolle Patienten, wenn leider auch eher in der Minderheit. Gerade heute führte ich ein ziemlich happiges Gespräch; morgens in der Sprechstunde hatte ich einen Patienten mit einem Herpes zoster (Gürtelrose) der linken oberen Gesichtshälfte. Weil ein solcher häufig bei Immunkomprimitierten Patienten auftritt, legte ich ihm nahe, einen HIV-Test zu machen (hier leider ein eher teurer Test: 8'500 CFA, knapp 15 Fr.): das Resultat war positiv. Ich erklärte ihm das Resultat sowie die Krankheit und er schien gut zu verstehen, stellte sogar Fragen - ein gutes Zeichen. Und er fragte mich auch nach seiner Frau, möglicherweise ja auch positiv. Ich versuchte ihm Mut zu machen, es ihr zu sagen, bot ihm an, sie hereinzubitten und die ganze Sache beiden nochmals zu erklären. Er hatte Angst, sie sei zu fragil um das Resultat zu prästieren. Und auch meiner Erfahrung nach akzeptierten solche Leute dann meistens das Resultat sowieso nicht, beeinflussten sogar noch den Partner, sodass dieser die Therapie abbricht - bei zunächst sehr einsichtigen Patienten habe ich dies leider auch schon erlebt. Nach langem Zögern des Patienten kam seine Frau herein und ich erklärte das Ganze nochmals. Sie reagierte kaum, war aber bereit, sich testen zu lassen. War verletzt, enttäuscht. Obwohl ich die Leute aufrufe, nicht nach dem wann, warum, durch wen der Ansteckung zu suchen, da dies im Moment nicht viel bringt, kann ich mir vorstellen, was das Resultat für die persönliche Beziehung der beiden heisst. Das Resultat wird Montags dasein, leider weiss ich ja schon fast sicher, wie es lauten wird.
Vor einigen Tagen habe ich die Statistik der hospitalisierten Seropositiven von 2006 zusammengestellt. Es waren genau 100 in der Kopp hospitalisierte seropositive Patienten - mit den vielen die man vergessen hat einzutragen sicher einige mehr. Bereits vor einigen Wochen stellte ich eine Statistik von 2004 - 2006 aller positiven und negativen Tests des ganzen Spitals zusammen - Justin brauchte sie, um die antiretroviralen Medikamente zu erhalten, für die er regelmässig persönlich nach Libreville fahren muss.
Inzwischen sind die ganzen Medikamente gratis, schon ein wichtiger Fortschritt. Allerdings sind die ganzen Untersuchungen im Vorfeld, die für eine Therapie nötig sind, vom Patienten/der Patientin zu bezahlen (ca. 20'000 - 60'000 CFA)- für viele ein Ding der Unmöglichkeit. Die Therapie wäre zwar gratis, aber der Beginn einer solchen scheitert an der Hürde der dazu nötigen Untersuchungen.
Nächsten Mittwoch ist es an mir, einen Vortrag zu halten: ich möchte die erstellte Statistik der Kopp vorstellen, verbunden mit einem Rappel zu HIV/AIDS - nicht wenige der Spitalangestellten sind seropositiv. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch gleich einen neuen HIV-Informationsflyer in die Runde werfen, der alte ist von den vielen "Kopien einer Kopie" kaum mehr lesbar. Guillaume, der junge Gabonese der das Atelier des Arts et d'Expression leitet soll mir die Illustrationen liefern, mal schauen obs klappt. Da leider der Stage bald zu Ende gehen wird, ist die Zeit eh schon viel zu knapp und mit dem vorzubereitenden Vortrag noch knapper, so dass ich mich hier auch gleich für meine eher raren Einträge im Blog entschuldige. Und übrigens: die Ehefrau meines Zoster-Patienten war seronegativ. Obwohl erst in 3 Monaten nach einem zweiten Test ein sicheres Resultat, hat mich das ausserordentlich gefreut.